Rede von Dr. Günther Sidl: Abgeordneter zum Europäischen Parlament bei der Gedenkveranstaltung 90 Jahre 12. Februar 1934 und 50 Jahre Mahnmal Wöllersdorf.

Wöllersdorf, am 10. Februar 2024

Um zu wissen,wohin man geht, muss man wissen woher man kommt.

Und wenn wir – Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfer, Gewerkschafterinnen, Gewerkschafter; Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – im Jahr 2024 vor der Schwächung unserer Demokratie und der Rücknahme unserer persönlichen Freiheiten warnen, so tun wir das, weil wir in der Geschichte immer auf Seite der Demokratie und der Grundrechte gestanden sind.

Das ehemalige Anhaltelager hier in Wöllersdorf ist ein Symbol für Repression, Unterdrückung, Ausschaltung der Demokratie und Diktatur. Aber vor allem für den Faschismus in Österreich, der nicht 1938 sondern 1934 begann und all das umfasste. Der Austrofaschismus war kein Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus – er war schlicht und einfach die Vorstufe davon.

Wer die Demokratie aushöhlt oder sie gar für seine Zwecke aussetzt, der kann warten, bis er selbst Opfer wird. Von noch radikaleren Kräften, von noch menschenverachtenderen Bewegungen und von noch größeren Demokratiefeinden.

Es ist daher wichtig, dass in Niederösterreich in keinem Museum mehr Engelbert Dollfuß gehuldigt wird. Die seriöse wissenschaftliche Aufarbeitung hat endlich begonnen und das ist gut so.

Denn gehuldigt gehören die Kämpfer für die Demokratie und nicht deren Zerstörer.

Nach zwei verheerenden Weltkriegen mit einem verbrecherischen NS-System haben die Staaten unseres Kontinents zueinander gefunden. Wer die Kriegsgräber etwa zwischen Flandern und Elsass oder die Gedenkstätten des nationalsozialistischen Terrors besucht, dessen einzige Antwort kann nur sein: NIE WIEDER!

Und daher gibt es auch keine echte Alternative zur Europäischen Union. Die Alternative sind 27 einzelne Nationalstaaten. Ein Geschenk für Russland, die USA oder China, die jeden Staat gegen den anderen ausspielen könnten. Unser Ansatz ist es, die EU zu verbessern und positiv zu verändern – während andere sie zerstören wollen.

Es ist zweifelsohne besser 27 Staaten reden miteinander als sie reden übereinander oder gar gegeneinander.

Was uns in der EU noch verbindet, sind europäische Werte. Freiheiten, die bei uns selbstverständlich sind. Meinungsfreiheit, die Freiheit der Wissenschaft, der Medien, von Kunst und Kultur oder die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft. Aber auch demokratische Systeme, die diese Freiheiten tragen und sie ermöglichen.

Um diese Freiheiten beneiden uns viele Menschen auf der ganzen Welt und sie sind auch nicht vom Himmel gefallen, sondern das Resultat aus den Verbrechen der Kriege in Europa.

Diese Möglichkeiten sein Leben zu führen, gibt es weder in Russland noch in China. Und wie Donald Trump demokratische Wahlergebnisse respektiert, zeigt die Stürmung des Kapitols, die durch seine aufgeheizten Reden erst zustande kam.

Wir haben in Österreich die Lehren aus der Geschichte gezogen und haben Institutionen geschaffen, die es flächendeckend in keinem anderen Land Europas gibt. Etwa eine starke Arbeitnehmer-Vertretung, wo die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Vertreter selbst wählen können.

Wenn man das Buch von Jörg Haider „Die Freiheit, die ich meine“ aus dem Jahr 1993 zur Hand nimmt, so haben er, bzw. seine politischen Nachfolger leider vieles von dem geschafft, was oftmals als „Umbau der Republik“ bezeichnet wird.

Was ihnen aber noch nicht gelungen ist, ist die Schwächung oder Zerschlagung der Arbeiterkammer, also jener Arbeitnehmerparlamente, die es so nur in Österreich flächendeckend gibt.

Daher ist die kommende Arbeiterkammer-Wahl auch immens wichtig als politisches Signal an all jene, denen eine schwache Arbeitnehmervertretung ein großes Anliegen ist.

Daher wünsche ich dir lieber Präsident, Markus Wieser, alles alles Gute für kommende Wahl!

Wir erleben gerade leider einen echten Gift-Cocktail in unserer Gesellschaft und ein vergiftetes politisches Klima.

Sogar im Freundeskreis ist es oftmals schwierig, gelassen unterschiedliche politische Standpunkte auszutauschen und in den sozialen Medien gibt es kaum noch Respekt und konstruktive Kritik.

Demokratie lebt aber vom Dialog, vom Handschlag und vom Kompromiss. Hinter Ausgemachtem zu stehen, den Erfolg zu teilen und den anderen politisch mitleben zu lassen – das ist verloren gegangen.

Der Gewinner dieser Entwicklung: Die Rechtspopulisten und rechtsextremen Kräfte in ganz Europa.

Alle, die nun glauben, sie können Steigbügelhalter oder Profiteure der erstarken Rechten sein, denen kann ich nur sagen: Zuerst werden die Rechten die Unterstützer fressen und dann die Demokratie.

Das Fundament für diese Entwicklung in unserer Gesellschaft sind oftmals Ängste. Auch denen muss sich verantwortungsvolle Politik stellen und auf Basis unseres Rechtsstaates entgegenwirken.

Der Klimawandel, technologische Fortschritte, Zuwanderung, künstliche Intelligenz, Energieversorgung der Zukunft, der Krieg in der Ukraine – all das beschäftigt die Bürgerinnen und Bürger. Und zur Ukraine möchte ich noch sagen, dass der Angriffskrieg Russlands auf diesen Staat absolut verurteilenswert ist und ich nicht verstehe, dass die Rechtsparteien in Europa Putin dafür hofieren.

Gerade als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten müssen wir aber auch die Schaffung von Frieden thematisieren – auch, wenn dies noch ein langer Weg hin ist. Und wir müssen auf eine aktive Neutralitätspolitik pochen.

Wir leben in einer bewegten Zeit und man kann die Menschen vor diesen Veränderungen als Politik nicht beschützen, sondern wir müssen sie positiv begleiten.

Ich sage daher heute ganz offen: Es braucht wieder eine tragfähige, tiefgehende, positiv zukunftsorientierte, pro-europäische, ehrlich gemeinte und über den Wahltag hinausblickende politische Mitte in diesem Land.

Wir haben derartige Herausforderungen in unserer Gesellschaft, die niemand alleine und schon gar nicht die Rechts-Parteien stemmen können. Und wir dürfen ihnen dies auch nicht überlassen.

Den Ängsten ein positives Zukunftsbild entgegenstellen, das muss eine gemeinsame Kraftanstrengung sein.

Medial geführte Koalitionsdebatten sind das eine. Aber das interessiert mich nicht.

Es geht um unsere Republik, um ein besseres Leben der Menschen in einer bewegten Zeit und wieder um Handschlagqualität in Politik abseits der Schlagzeile von morgen.

In diesem Sinne lasst uns arbeiten, lasst uns vernetzen mit allen, die es ehrlich meinen mit unserer Demokratie und unserer Republik! Es gibt mehr wie manche vielleicht glauben.

Dieser Ort ist wahrlich ein guter Ausgangspunkt dafür!

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